Hippuris vulgaris, Ligustrum vulgare, Pinguicula vulgaris - vorsichtig blättert Reinhard Feldmann Seite für Seite des fast 200 Jahre alten, großformatigen Werkes "Icones plantarum -
Bilder von Pflanzen aus dem Bistum Münster" von Franz Wernekinck um und sorgt für andächtiges Staunen bei dem guten Dutzend Besucher. Der Leiter des Dezernats "Historische Bestände" der
Univesitätsbibliothek Münster hatte die AG Botanik am vergangenen Montag, den 22. Januar, zu einer exklusiven Führung in die Handschriftensammlung der ULB eingeladen. Zustandekommen war der
Kontakt über Dr. Wilhelm Bauhus, dem Leiter der "Arbeitsstelle Forschungstransfer" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Im Mittelpunkt stand das botanische Hauptwerk von Franz Wernekinck von 1798, der 100 damals häufige Arten für seine Studenten in farbigen Handzeichnungen detailgetreu, wissenschaftlich korrekt
und künstlerisch anspruchsvoll aufbereitet hatte. Reinhard Feldmann gab mit Unterstützung der Kunsthistorikerin Dr. Lammers Erläuterungen zu Papierqualität, den in wissenschaftlichem Latein
verfassten Beschriftungen und historischen Drucktechniken. Dr. Thomas Hövelmann, Leiter der AG Botanik beim NABU Münster, ergänzte an ausgewählten Beispielen Wissenswertes zu den dargestellten
Pflanzenarten und ihre heutige Verbreitung. Die Abbildungen waren so gut, dass Hövelmann mühelos aus größerer Entfernung praktisch alle dargestellten Arten sofort identifizieren konnte, selbst
Moose und Farne. Die NABU-Botaniker zeigten sich dabei auch beeindruckt von den vielfältigen Fähigkeiten des Franz Wernekinck: er war nicht nur ein großartiger Illustrator heimischer Pflanzen,
Professor für Botanik, Gründer und langjähriger Leiter des Botanischen Gartens, sondern praktizierte auch gleichzeitig als Arzt - ein echtes "All-round-Genie", wie man es heutzutage wohl nur noch
selten findet.
Viele der von Wernekinck dargestellten Arten sind heute seit langem im Münsterland ausgestorben oder kommen nur noch ganz selten vor. Ein Beispiel ist das Gewöhnliche Fettkraut Pinguicula
vulgaris: Diese kleine fleischfressende Pflanze ist düngerfliehend und durch den Verlust ihrer Wuchsorte heute nur noch sehr selten in den Beckumer Bergen zu finden. Kleines Knabenkraut
(Orchis morio), Drehwurz (Spiranthis spiralis), Strandling (Littorella uniflora) und Mondraute (Botrychium lunaria) sind nur einige wenige von zahlreichen
Beispielen weiterer Arten, die in den vergangenen Jahren ihre Lebensräume ganz oder weitestgehend durch Versiegelung, Umbruch zu Ackerflächen oder Aufdüngung zu Intensiv-Grünland verloren
haben.
Es gibt aber auch Gewinner unter den von Wernekinck dargestellten Pflanzen: stickstoffliebende Arten wie Gundermann, Schwarzer Holunder und Wiesen-Fuchsschwanz sind deutlich häufiger geworden.
Das gleiche gilt für einige immergrüne Arten wie Efeu, Stechpalme und Kleines Immergrün, die wegen der milderen Winter vom Klimawandel profitieren und ihr Verbreitungsgebiet deutlich ausdehnen
konnten. Einige der von Wernekinck dargestellten Arten sorgten selbst bei den erfahrenen Botanikern des NABU für Erstaunen: das Kanadische Berufkraut, die Nachtkerze und die Mahonie sind aus
Übersee nach Mitteleuropa gelangt und gelten noch heute als "Neubürger" unter den Pflanzen - hier könnte die Tätigkeits Wernekincks als Leiter des Botanischen Gartens der Ansiedlung solcher Arten
Vorschub geleistet haben.
Mit dem eindrucksvollen Besuch der Handschriftensammlung beginnt ein neues Projekt der AG Botanik. Geplant ist eine Auswertung der mehr als 200 Jahre alten Fundangaben der 100 von Wernekinck
dargestellten Arten, vor allem die Auswertung im Vergleich der früheren und heutigen Verbreitung. Die Ergebnisse sollen an der Universität Münster präsentiert werden.
Die "Icones plantarum" liegen bei der Universitätsbibliothek auch eingescannt vor und können hier angeschaut werden: https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd/content/titleinfo/995907