"Gutes Wetter für die Flechten!" freut sich Prof. Dr. Fredericus Daniels, "bei diesem Wetter quellen sie und können wieder ein kleines bisschen wachsen." Die acht Teilnehmer der Flechtenexkursion
für die AG Botanik in der Innenstadt von Münster am vergangenen Samstag, den 20. Februar, waren angesichts des dichten Nieselregens eher skeptisch. Aber die Begeisterung des Flechten-Fachmannes
für seine Schützlinge springt schnell über, und schon bald lauschen sie gebannt seinen Schilderungen aus dem geheimnisvollen Leben dieser wenig bekannten Gruppe aus dem Pflanzenreich.
Flechten sind eine Lebensgemeinschaft aus Pilzen und Algen, die einzeln nicht lebensfähig sind und nur gemeinsam Stoffwechselprodukte erzeugen, die die beiden Partner alleine nicht erzeugen
können. In Deutschland gibt es mit ca. 3.000 Arten genauso viele Flechtenarten wie höhere Pflanzen, lernten die staunenden Botaniker. Faszinierend ist auch die Indikatoreigenschaft der Flechten:
wegen ihrer Empfindlichkeit gegenüber Schadstoffen eignen sie sich hervorragend dazu, Luft- und Wasserverschmutzungen anzuzeigen. "Noch vor 30 Jahren zu Zeiten von Saurem Regen und Smog gab es in
der Innenstadt von Münster nur ganz wenige, robuste Arten. Heute finden wir leicht ein Zehnfaches an Vielfalt, ein deutliches Zeichen für die verbesserte Luftqualität," weist Daniels auf diesen
praktischen Nutzen der Flechten hin. Die Artenkombination zeige aber auch den Klimawandel an: Schon heute fänden sich in Münster einige Arten, die noch vor wenigen Jahren nur deutlich weiter
südlich vorkamen.
Prof. Daniels muss es wissen, hat er doch sein gesamtes Forscherleben an der Universität Münster bis zu seiner Emeritierung vor wenigen Jahren dem pflanzlichen Leben in der Arktis und den Folgen
der Klimaveränderungen gewidmet. Auch Dr. Thomas Hövelmann, Leiter der AG Botanik beim NABU Münster, hatte sich im Rahmen seiner Dissertation über die Tundra Islands intensiv mit Moosen und
Flechten beschäftigen müssen, die einen wesentlichen Anteil an der Vegetation im hohen Norden einnehmen. So ernähren sich beispielsweise die Rentiere in Lappland im Winter im Wesentlichen von
Flechten, die jedoch für den Menschen ungenießbar oder sogar giftig sind wie die Wolfsflechte, die in früheren Zeiten zum Vergiften von Ködern verwendet wurde. Einzig das "Isländische Moos"
(Cetraria islandica) ist als Heilmittel für den Menschen von unmittelbarem Nutzen. Nichtsdestotrotz sind die vielen verschiedenen Flechtenarten unverzichtbarer Bestandteil des ökologischen
Gefüges. Durch ihre Kleinheit und ihr langsames Wachstum können sie jedoch nur dort wachsen, wo es höhere Pflanzen nicht können: auf Felsen und Steinen, offenen Sandböden und Baumrinde.
Das gilt auch für die Innenstadt von Münster: bei genauem Hinsehen entdeckt man erstaunlich viele Arten an den Ufermauern der Aa, auf dem Straßenpflaster und an Baumstämmen. Einige Arten - die in
der Regel keine deutschen Namen besitzen - bevorzugen sogar besonders unappetitliche Wuchsorte: die "Pinkelflechte" Caloplaca citrina zum Beispiel wurde zuerst neben einem Pissoir in Wien
entdeckt und bevorzugt Mauern bis Kniehöhe in der Umgebung von Kneipen, wie Daniels zur Erheiterung der Gruppe berichtete. Selbst die Linden auf dem Domplatz sind über und über mit verschiedenen
Flechtenarten bewachsen, dem samstäglichen Trubel der Marktbesucher zum Trotz. Bei so vielen spannenden Geschichten und Einblicken in das geheime Leben der Flechten war das Wetter
Nebensache - und nicht nur gut für die Flechten.
Auf ein Bild klicken, um die Bildergalerie zu öffnen. Alle Fotos: Dr. Thomas Hövelmann