Geißfuß, Auge und Edelreis - für einen versierten Gärtner oder gar einen Streuobst-Fachmann selbstverständliche Fachbegriffe, für Freiland-Botaniker eher anders belegt. Die 15 Mitglieder der AG
Botanik lernten eine Menge bei ihrem Besuch im Überbetrieblichen Ausbildungszentrum für Gartenbau in Wolbeck am Freitag, den 3. Februar 2017. Karin Wilp - als gelernte Gartenbautechnikerin in der
überbetriebliche Ausbildung tätig und in der AG Botanik aktiv - hatte zu einer ausführlichen Führung durch ihren Arbeitsplatz eingeladen.
Neuland also für die Botaniker des NABU, die sich ansonsten fast ausschließlich mit wild wachsenden, heimischen Pflanzenarten befassen: Sie lernten uralte Kulturtechniken kennen, mit denen der
Mensch in das Leben der Pflanzen eingreift, um gewünschte Eigenschaften wie erhöhten Ertrag, mehr Nachkommen oder besondere Wuchsformen zu erreichen. Auch in Wolbeck steht die Pflanze im
Mittelpunkt - daher sind das Erkennen, Benennen mit botanischen Namen, Vermehren und Kultivieren Schwerpunktthemen. Die Pflanzenverwendung und gestalterische Themen ergänzen die
Ausbildungsinhalte.
Die "Gartenbauschule" in Wolbeck bietet in Trägerschaft der Landwirtschaftskammer NRW Lehrgänge für Auszubildende zahlreicher Fachrichtungen an: Baumschule, Zierpflanzenbau, Staudengärtnerei,
Obstbau, Gemüsebau sowie Friedhofsgärtnerei und Garten- und Landschaftsbau. Die über 4.000 Teilnehmer pro Jahr kommen aus ganz NRW und können im Gästehaus übernachten. Einwöchige Kurse ergänzen
die betriebliche Ausbildung mit dem Ziel, allen Gärtnerinnen und Gärtnern unabhängig von der Spezialisierung und technischen Ausstattung des Ausbildungsbetriebes eine einheitliche Grundausbildung
zu geben. Die Inhalte der einzelnen Kurse sind auf den jeweiligen Ausbildungsstand der Teilnehmer abgestimmt.
Am vergangenen Freitag lernten die Botaniker unter anderem das Veredeln kennen, das von Agrarbetriebswirt Jens Wiedenfeld eindrucksvoll vorgestellt wurde: Beim Veredeln "bastelt" sich der
Gärtner aus zwei Pflanzen eine und versucht, die positiven Eigenschaften beider Pflanzen zu vereinen - zum Beispiel beim Apfel, die schöne Sorte (Boskoop) mit einer bestimmten Baumform
(Hochstamm). Dazu wird von der einen Pflanze die Wurzel als "Unterlage" verwendet und von der anderen ein junger Ast, das "Edelreis" (bei der Kopulation), oder nur eine Knospe, das "Auge" (bei
der Okulation). Die Unterlage bestimmt die Größe des Baumes, das Edelreis die Sorteneigenschaften (Geschmack, Farbe, Aussehen der Frucht). Ist die Unterlage wesentlich dicker als das Reis,
behilft sich der Fachmann mit dem Geißfuß-Pfropfen, indem das Edelreiß in eine keilförmige Kerbe gesetzt wird. Wichtig sind jeweils saubere Schnittflächen, damit die Kambiumschichten dicht
aufeinanderliegen und die beiden Pflanzen dauerhaft zusammen wachsen können.
Und weiter ging die zweistündige Führung durch die weitläufigen Gewächshäuser und Außengelände: Vegetative, also ungeschlechtliche, Vermehrung stand auf dem Programm über Blattstecklinge
(Beispiel: Usambaraveilchen, Saintpaulia ionantha), Blattteilstecklinge (Königsbegonie, Begonia-Rex-Hybride), Rissling (Zimmerzypresse, Cupressus macrocarpa - der
Steckling wird "abgerissen", damit der Astring mit zweijährigem Holz dran bleibt), Brutblatt ("Henne mit Küken", Tolmiea menziesii), Stolonen oder Ableger (Grünlilie, Chlorophytum
comosum), und und und... am Ende waren die Besucher froh, dass ihnen die sonst übliche Prüfung erspart blieb.
Mit herzlichem Applaus dankten die NABU-Botaniker Karin Wilp und ihrem Kollegen Jens Wiedenfeld für die interessante Führung - und hatten ihren Wortschatz um eine Reihe von Fachbegriffen
erweitert.
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